Conny meets Sascha Bisley

von | Mai 1, 2015

Conny und Dennis meet Torsten Sträter

Conny und Dennis meet Torsten Sträter

niveau-texter

Hallo, ihr Lieben!

Vor einigen Tagen durfte ich ein besonders interessantes Interview führen. Sascha Bisley ist Autor des Buches „Zurück aus der Hölle. Vom Gewalttäter zum Sozialarbeiter“, arbeitet heute als Honorarkraft für Jugendämter und für das Innenministerium NRW. Im Alter von 19 Jahren verletzte er einen Obdachlosen im Gewalt- und Alkoholrausch so schwer, dass dieser an den Folgen der Tat starb. Wir haben mit Sascha über die Probleme von kriminellen Jugendlichen, Reue und seine Suizidversuche gesprochen. An welche Organisationen der Autor einen Großteil des Erlöses seiner Arbeit spendet und warum es immer noch Menschen gibt, die fälschlicherweise denken, er würde das Geld mit „Koks und Nutten im Puff“ verprassen, lest ihr hier.

Wir bedanken uns bei Sascha für das interessante und spannende Gespräch und wünschen euch noch einen schönen 1. Mai!

Liebst,
Conny

Conny: „Ich habe über dich gelesen, dass dein Gewicht, je nach Stimmung, variiert. Wie ist denn die Stimmung heute so?“
S. Bisley: „Meine Stimmung ist heute morgen bei etwa 90 Kilo. (lacht) Mir geht es aber im Allgemeinen gut. Ich bin sehr viel unterwegs, lese aus meinem Buch. Das ist spannend. Ich bin gut drauf.“

Conny: „Im Internet steht, dass du schon vergleichsweise idyllisch groß geworden bist. Wie passiert es denn dann, dass man irgendwo im Leben die falsche Abfahrt nimmt?“
S. Bisley: „Wenn ich mir diesen Knick im Leben genauer erklären könnte, wäre ich auch glücklicher. Aber ich denke, dass gerade das Wort „Idylle“ in sich eine kleine Gefahr birgt. Man bewertet Idylle sehr schnell als etwas zu Positives. Man verbindet Idylle mit einem Postkartenausblick oder einem Ausflug am Strand. Aber Idylle kann auch sehr erdrückend sein. Ich glaube, dass das bei mir der Fall war. In Kleinfamilien muss nach außen hin alles schön sein. Hauptsache die Nachbarn bekommen nichts von Problemen mit. Ich war zu einem großen Teil mit der Position, die ich in meiner Familie einnehmen musste, überfordert.“

Conny: „Also wird der Grundstein für solche Entwicklungen schon in der Kindheit gelegt?“
S. Bisley: „Ja, ich denke schon. Ich möchte niemandem Schuld zuweisen, aber ich denke, dass solche Dinge einfach den Startschuss geben. Zwei meiner Geschwister sind sehr jung auf tragische Weise gestorben. Ich musste dann deren Rolle einnehmen, wobei meine Eltern nicht mehr adäquat mit Kindern umgehen konnten. Bei mir hat dann eine gewisse Emotionslosigkeit dazu geführt, dass ich mich für Dinge interessiert habe, die extreme Emotionen beinhalten.“

Conny: „Gegen dich liefen 17 Verfahren wegen Nötigung, Körperverletzung und so weiter. Ist sowas einem dann wirklich egal?“
S. Bisley: „Die Verfahren sind nicht alle ausschließlich gegen mich gelaufen. Manchmal war ich einfach nur in die Verfahren verwickelt, musste Aussagen tätigen. Das macht das Ganze natürlich nicht besser. Ich war in alle Dinge ein wenig verwickelt. Das Problem war, dass die Verfahren immer fallen gelassen wurden. Es drohte mir nie eine wirkliche Strafe und ich bin mit allem irgendwie durchgekommen. Daher hat das alles für mich ein wenig den Schrecken verloren. Es war mir egal, wenn ich der schweren Körperverletzung beschuldigt wurde. Ich dachte: „Scheiß drauf, geh hin, mach deine Aussage und schau, damit du um 16 Uhr in der Stammkneipe sitzt.“ Schuldbewusstsein oder Reue hatte ich nicht.“

 

Foto: Daniel Koch, chokografie

Foto: Daniel Koch, chokografie

Conny: „Wie sieht es heute mir der Reue bei dir aus? Wie ist dein Verhältnis zu der Tat, bei der du einen Menschen tot geprügelt hast?“
S. BIsley: „Ich habe bis heute und bis an mein Lebensende damit zu tun. Das habe ich aber auch verdient. Es ist vor allem ein vollkommenes Unverständnis für die Tat vorhanden. Jonathan hat mir damals im Rahmen der Gerichtsverhandlung noch verziehen. Ich hätte sonst das Buch auch niemals schreiben können. Natürlich habe ich Alpträume und es macht mich fertig, mit dem Bewusstsein herum zu laufen, dass ich einen Menschen auf dem Gewissen habe. Seine Vergebung hat mich aber zu einem anderen Menschen gemacht. Mit dem Menschen heute bin ich zufrieden. Aber das liegt wirklich an der Vergebung. Ich habe im Knast einen Suizidversuch gehabt, vorher auch schon, dann bin ich in Drogenlöcher gerutscht. Das alles kommt nicht von ungefähr. Mit der reinen Schuld hätte ich nicht mehr weiterleben können.“

Conny: „Viele Leute sagen, das Strafmaß sei zu gering gewesen. Wie ist deine Meinung dazu?“
S. Bisley: „Natürlich. Meiner Meinung nach wären mindestens vier bis sechs Jahre für diese Tat angemessen gewesen. Ich muss aber auch sagen, dass ich der Letzte gewesen wäre, der gebrüllt hätte: „Das ist zu wenig!“. Ich wollte auch nur nach Hause, zu meiner Mama und war ein weinerlicher Junge, der an seine Freiheit denkt. Wenn eine Bestrafung eine resozialisierende Wirkung haben soll, war meine Strafe richtig. Ein Jahr ist eine lange Zeit. Dieses Jahr im Knast hat mich um den Verstand gebracht. Wäre ich zu fünf Jahren verurteilt worden, hätte ich die Zeit nicht genutzt, um ein besserer Mensch zu werden. Ich habe so viele Leute gesehen, die im Knast schlimmer geworden sind. Eine Kriminalisierung findet im Gefängnis erst bei langen Strafen statt. Heute bin ich seit über 20 Jahren straffrei. Früher war sowas nichtmal zwei Wochen möglich.“

Conny: „In der Politik heißt es immer wieder „Gewalt im Knast gibt es nicht!“…“
S. Bisley: „(lacht) Den Leuten, die sowas behaupten, würde ich empfehlen, den Knastalltag einmal wirklich kennen zu lernen. Im Wesentlichen gibt es ja ein Gefängnis für „gute“ und „schlechte“ Verbrechen. Als Steuerhinterzieher oder jemand, der einen Polizisten verprügelt hat, ist man sehr hoch angesehen. Wenn man aber ins Gefängnis muss, weil man jemanden vergewaltigt hat, ein Nazi ist oder jemand schwächerem sonstwie Gewalt angetan hat, kann sich alles drehen. In meinen Augen ist die Gewalt von oben und im Kreis der Gefangenen alltäglich. Man merkt einfach, ob einer der Aufpasser einen Scheißtag hatte. Alle sind nur Menschen… und manche lassen ihre Probleme an anderen aus. Im Jugendgefängnis hast du zudem Leute, die rumlaufen, als lebten sie in einem Sylvester Stallone Film. Alle wollen ihre Eier zeigen. Dementsprechend bauen sie sich am zweiten Tag ein Messer aus Seife und einer Rasierklinge.“

 

Foto: Daniel Koch, chokografie

Foto: Daniel Koch, chokografie

Conny: „Bist du denn im Nachhinein froh, dass die Suizidversuche nicht funktioniert haben?“
S. Bisley: „Ja, ich bin an meinem Punkt in meinem Leben, an dem ich mich selbst als einen guten Menschen bezeichnen kann. Das was ich jetzt tue, ist das, was ich als gut beschreibe. Klar, habe ich auch Macken. Aber mein Habitus, meine Empathie und meine Fähigkeit, mich mit Menschen auszutauschen, haben sich komplett gedreht. Genau das fühlt sich gut an. Ich könnte mich nicht mehr an Orten aufhalten, an denen diese Boshaftigkeit herrscht. Ich würde zerbrechen.“

Conny: „Was ist das Problem von deutschen Jugendlichen, die heute gewalttätig werden?“
S. Bisley: „Die Erfahrung zeigt mir, dass solche Entwicklungen immer im Elternhaus liegen. Meist werden Erbschäden weitergegeben. Eltern, die selbst in einem kritischen Zustand groß geworden sind, geben das automatisch an ihre Kinder weiter. Viele sind durch Drogen, Alkohol oder Verdruss einfach aus der Gesellschaft heraus gerückt. Jeden Tag sehen sie im TV, wie schön das Leben sein kann. Aufeinmal wollen alle Superstar oder am besten Rapper werden. Sie haben unreale Vorstellungen von Zukunft und Leben. Sie wollen eine Yacht und ein eigenes Modelabel. Diese Werteverschiebung kommt auch von Eltern, die kein Geld für gestopfte Zigaretten haben, aber einen fetten Plasma Fernseher im Wohnzimmer haben. Hier stimmt etwas nicht. Alle haben eine Grauvorstellung von dem, was sie „Leben“ nennen, sind aber nicht mit dem Rüstzeug dafür ausgestattet. Aus solchen Leuten wird nie ein Bankkaufmann werden und sie werden nie so funktionieren, wie „normale“ Menschen funktionieren sollten. Politik versucht, Symptome zu beheben, ohne die Ursachen zu bekämpfen. Es werden Gelder für Sozialarbeit gestrichen, aber das Geld für den Bau neuer Haftanstalten aufgestockt. Man kann es sich auch leicht machen.“

Conny: „Du erfüllst alle Klischees. Du bist 2 Meter groß, komplett tätowiert… wie reagieren die Leute auf dich?“
S. Bisley: „Die Leute in den Gefängnissen lassen sich von mir nicht beeindrucken. Ich habe aber einen anderen Status als ein birkenstocktragender Sozialarbeiter, der mit denen eine Tasse Tee trinken möchte. Bei mir ist nicht die Optik das Ausschlaggebende. In dem Knast, in dem ich jetzt arbeite, habe ich damals auch selbst gesessen. Ich kann mit den Leuten ganz anders reden, wenn ich frage, wie es denn heute in meinem ehemaligen Flügel aussieht. Dann fällt die Maske und ich stehe mit ihnen auf einer Stufe. Sie sehen, dass ich da war und jetzt nicht mehr da bin. Die Leute im Knast denken, sie seien Versager, sehen aber an mir, dass es auch anders geht. Sie sehen, dass das alles nicht das Ende sein muss. Das möchte ich vermitteln. Sie sollen raus kommen, einen Job suchen und das Leben genießen und daran teilnehmen.“

 

Foto: Daniel Koch, chokografie

Foto: Daniel Koch, chokografie

Conny: „Manche Leute regen sich darüber auf, dass du mit deiner Tat Geld verdienst…“
S. Bisley: „Klar, wenn man mit einer negativen Grundeinstellung an das Thema geht, springt einem als erstes der Gedanke „Jetzt macht der Wichser auch noch Kohle mit dem Ding!“ ins Gesicht. Ich habe aber nicht „Harry Potter“ geschrieben. Debut Autoren bekommen 3-6% vom Verkaufspreis. Wäre es meine Intention gewesen, damit reich zu werden, hätte ich ein Kochbuch schreiben sollen. Ich unterstütze aber auch viele soziale Projekte damit. Ich habe eine Benefizveranstaltung für eine Obdachlosenzeitung organisiert, ich sponsore eine Kinderbasketballmannschaft in Hemer, habe einen jungen Fußballverein aus Soest eingekleidet, zusammen mit dem BVB habe ich für eine Fußballmannschaft aus Ghana Tornetze gekauft. Ich versuche, Teile davon in den Kreislauf der Öffentlichkeit zu bringen. Viele Leute sehen mich nach dem Buch reich mit Koks und Nutten im Puff sitzen… das ist natürlich nicht der Fall. Vor 20 Jahren wäre das genau mein Ding gewesen. (lacht)“

Conny: „Was wünschst du dir für die Zukunft?“
S. Bisley. „Ich wünsche mir, dass meine Familie weiterhin mehr zusammen wächst. Wir sind in den letzten Jahren immer weiter zusammengerückt. Für mich selbst wünsche ich mir, dass die zweite Jahreshälfte genauso aufregend wird wie die erste… vielleicht etwas ruhiger, was die Terminlage angeht, aber nicht unproduktiver. Ich habe mein zweites Buch fertig, arbeite am dritten, schreibe ein Drehbuch. Ich hoffe, dass ich nicht vorher aufgrund der Altlasten meiner Drogensucht vorher den Arsch zukneife und das alles noch erleben darf. Langeweile und Stillstand sind der Tod.“

PS.: Alle Infos zu Sascha findet ihr hier! Wer sich ein Exemplar von „Zurück aus der Hölle“ sichern möchte, klickt hier!