Antisemitismus in Europa im 19. und 20. Jahrhundert (1)

von | Apr 11, 2013

Conny und Dennis meet Torsten Sträter

Conny und Dennis meet Torsten Sträter

niveau-texter

Hallo, ihr Lieben!
Hier nun schnell eine mehr oder weniger kurze Zusammenfassung der o. g. Veranstaltung.

Aber zunächst noch etwas, was mir SEHR am Herzen liegt: Ich fasse hier eine Vorlesung zusammen, in der es um das sehr ernste Thema „Antisemitismus“ geht. Hier werden Fakten und Daten zusammengetragen, die u. U. wichtig für unseren Test am Semesterende sind. 
Ich möchte jedoch NIEMANDEM mit dem Inhalt der Posts dieser VL zu nahe treten, beleidigen oder (um Gottes Willen) aufhetzen! Ich distanziere mich vehement von antisemitischen Ansätzen/ Denkweisen und gebe mir Mühe, dies in meinen Formulierungen DEUTLICH klar zu machen.

Zu Beginn der Vorlesung haben wir festgehalten, dass das Thema der „Judenfeindschaft“ im Allgemeinen als ein mitteleuropäisches Phänomen gesehen wird. Faktisch gab es aber in allen Teilen der Erde (wenn auch nicht so häufig wie in Europa) Fälle von Antisemitismus.


Die kommenden Wochen beinhalten u. a. (laut Seminarplan) folgende Gebiete und zentrale Fragestellungen:

  • Begriff und Ideologie des Antisemitismus
  • Antisemitismus als Gegenstand der Wissenschaft
  • die Verbindung von Antisemitismus und Gewalt
  • Ist der Antisemitimus ein modernes Phänomen oder ein Überbleibsel aus dem Mittelalter?
  • Warum existiert der Antisemitismus teilweise immernoch, obwohl er delegitimiert wurde?
  • Wie sehen die Perspektivem des Anti-Antisemitismus aus? 
  • Wie verhalten sich antisemitische Ansichten/ Ideologien zueinander? Was unterscheidet sie?

Die Antisemitismusforschung ist längst zu einer festen Subdisziplin der Geschichte geworden. Grund genug, sich ein wenig genauer mit ihr zu beschäftigen.

Die Begriffsgeschichte des Antisemitismus:

Der Begriff „Antisemitismus“ wurde in den 1850er Jahren entwickelt. Besonders bezeichnend ist der Umstand, dass, wenn man sich mit den Sprachwissenschaften beschäftigt, immer wieder nachvollzogen werden kann, dass ein neues Wort auch eine Veränderung in der Gesellschaft bedeutet. Die Sprache ist ein nachweislicher Faktor der Realitätsfindung bzw. -beschreibung.

Der „Judenhass“ als solcher konnte in verschiedenen Schichten der Gesellschaft seit ca. 2000 Jahren erkannt werden. Das Phänomen, welches wir heute „Antisemitismus“ nennen, jedoch erst seit ca. 130 Jahren. Wie geht das? Bzw. Ist der Hass von damals mit dem „Antisemitismus“ vergleichbar?

Wissenschaftler wie Nipperdey vertreten in diesem Punkt die Auffassung, dass es sich um einen neuen Hass handelt, der jedoch an alte Muster anknüpft.

Die Begriffsbildung des Wortes „Semitismus“ fand ca. 1771 statt. Das Wort entstammt dem Namen Sem, dem Sohn Noahs. 1787 wurde das Wort fest in die Sprache eingeführt. Hier war teilweise von den „Trägern der semitischen Sprachfamilie“ die Rede. Es fiel jedoch auf, dass sich die semitische Sprachfamilie nicht mit den Semiten im Völkersinne deckte. Oder anders: Nicht jeder, der zum semitischen Volk gehörte, sprach auch zwangsläufig eine semitische Sprache (und auch umgekehrt).

Der Begriff weitete sich schnell aus. Während zu Beginn seiner Entstehung ausschließlich religiöse Gemeinschaften gemeint waren, so übertrug er sich auf die Sprachfamilie bzw. bald in den Bereich der Völkerkunde und die Kultur. Sobald der Semitismus dann in Verbindung zum damals sehr beliebten Wort „Rasse“ gebracht wurde, bekam er eine Art Ewigkeitscharakter.

Schon bald hielten Begriffe wie „Arier“, „Indogermanen“ oder „Indoeuropäer“ Einzug in die Geistes- und Kulturwissenschaften und bildeten damit den Gegensatz zum Semitentum. Den sogenannten „Ariern“ wurden in diesem Zusammenhang die positiven Eigenschaften, den Semiten die negativen Eigenschaften zugeschrieben. Der Semitismus kann damit als die Basis des „Antijudaimus“ angesehen werden. 

Während das Wort „Semitismus“ früher ausschließlich in der Fachsprache genutzt wurde, so wurde es ab ca. 1866 immer mehr im normalen Alltagsgebrauch verwendet. Dies wird u. a. deutlich, wenn die Begriffserklärungen in Lexika der Zeit untersucht werden. 

Die sogenannten „Arier“ fühlten sich im Vergleich zu den Semiten als „Kulturbringer“ und immer mehr zur Weltherrschaft berufen. Wie wir heute wissen: mit fatalen Folgen!

Der erste bekannte Beleg für das Wort „Antisemitismus“ stammt aus dem Jahr 1865. Gesellschaftliche Verwendung fand dieses Wort aber noch nicht.

Parallel dazu vollzog sich ein Wandel in Bezug auf den Begriff „Jude“ bzw. „Judentum“. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts war hiermit ausschließlich die Religion gemeint bzw. stand der religiöse Hintergrund im Vordergrund. Seit dem späten 18. Jahrhundert wurden die Juden immer mehr als Nation gesehen und die Abstammungsgemeinschaft wurde betont. Im Gegensatz zum Christentum wurde das Judentum zudem als die altmodischere Religion dargestellt. Der Gott der Christen war in der gesellschaftlichen Meinung der Gott der Nächstenliebe, bei den Juden galt angeblich immernoch „Auge um Auge, Zahn um Zahn“. Der Glaube der Juden sollte als ein Relikt des düsteren Mittelalters abgetan werden, das von vielen Menschen so sehr verachtet wurde.
Juden, die als Ausweg die Taufe wählten, konnten zu dieser Zeit auf einen sozialen Aufsteig hoffen.

Am Beispiel von Karl Marx ist jedoch auch ersichtlich, dass der Antisemitismus kein ausschließliches Phänomen der rechten Parteien ist. In seinem Werk „Zur Judenfrage“ zeigt er deutlich, dass er sich gegen die Anhänger dieser Religion stellt. Auch hier unterscheidet er (ähnlich wie im Kommunismus) in „Volksfreunde“ und „Volksfeinde“.

Auch mit einem Blick nach Frankreich wird deutlich, dass Antisemitismus nicht immer mit „rechts“ gleichzusetzen ist.
In Frankreich waren beispielsweise die politisch linken antisemitisch.

Im 19. Jahrhundert wurde der Nationalismus immer weiter ausgeprägt und die Juden in diesem Zusammenhang als „fremdes Volk“ gesehen. Mitte des 19. Jahrhunderts hatten sowohl die Begriffe „Judentum“ als auch „Israeliten“ und „israelitische Religion“ Einzug in den allgemeinen Sprachgebrauch gehalten.

Mit dem Begriff „Semitismus“ wird ab den 1870er Jahren die „Rasse“ in Verbindung gebracht. Der „Brockhaus“ dieser Zeit bezeichnet den Semitismus als das „vom ethnologischen Standpunkt aus betrachtete Judentum“.
Vor allem die Vorurteile in Bezug auf die Juden wurden immer mehr geschürt und vereinheitlicht. Breite Schichten der Gesellschaft sahen in den Juden die Verantwortlichen für den Kapitalimus und den Mangel an nationaler Integrität. Die Industrialisierung half den Juden beim gesellschaftlichen Aufstieg raus aus dem Ghetto. Die alten Zunftbeschränkungen waren Geschichte und neue Bildungschancen taten sich auf, die gerade die Anhänger des Judentums exzellent nutzen konnten, da sie (im Vergleich zu vielen Christen) lesen und schreiben konnten. Gegner der Juden hielten jedoch genau diese Veränderungen, die durch die Industrialisierung hervorgerufen wurden, für Gesellschaftsveränderungen von Juden für Juden. Ab 1870 galt das Wort „Semitismus“ als ein Synonym für die Kritik am Kapitalimus bzw. Materialismus und die negativen Erscheinungen der Industrialisierung. Seit 1879 wurde der Begriff „Antisemitismus“ im gesellschaftlichen Sprachgebrauch genutzt.